Die BILD-Zeitung hat ganz Deutschland mit einer kostenlosen Sonderausgabe zum Berliner Mauerfall heute vor 25 Jahren gesegnet. Erwartungsgemäß ist dem Blatt nicht viel Gehaltvolles zu entnehmen, aber die Dreistigkeit, mit der Propaganda für eine ausschließliche Westbindung Deutschlands gemacht wird, hat mich doch überrascht. Da gibt es auf Seite 2 ein großformatiges Foto vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl: im Rollstuhl vor dem Brandenburger Tor sitzend, das Gesicht unkenntlich, als historisch verklärte Lichtfigur vom Leser abgewandt. Kohl blickt in ein jenseitiges Licht, das durch das hoch vor ihm aufragende Tor fällt. Ist das eine CDU-Parteizeitung? Eine unparteiische Berichterstattung sieht anders aus. Das ist Personenkult. Im Text heißt es:
„Sein Blick nach Westen ist also auch eine Botschaft: Unser Platz ist in der westlichen Werte- und Kulturgemeinschaft. Da kommen wir her, da gehören wir hin.“
Zu Zeiten der Ukrainekrise und des geschmacklosen „Putin-Bashings“ in den Massenmedien wird hier auf perfide Weise der angesichts des Mauerfalls weniger verschämt als sonst hervorgekehrte Patriotismus der Leser nicht nur mit der üblichen EU-Vereinigungs-Ideologie, sondern auch generell mit der Westbindung und damit natürlich auch der NATO und zuvorderst den Vereinigten Staaten, verknüpft. Es heißt außerdem im Text:
„Wie Adenauer, der einst den Grundstein für die Westbindung legte, verband Kohl sein politisches Schicksal immer mit dieser Westbindung.“
Das mag ja sein, aber man muss auch mal in Frage stellen, ob das so klug von Adenauer war. Kurt Schumacher wollte ein neutrales, aber nicht in BRD und DDR geteiltes Deutschland. Die Angst vor dem deutschen Sonderweg verbietet jedoch solche Gedanken. Das kann aber eine Tatsache nicht aus der Welt schaffen: Auch wenn wir es noch so sehr verdrängen, ist Deutschland ein so mitteleuropäisches Land wie kein anderes. Deutschland ist das Bindeglied zwischen West- und Osteuropa. Vor dem 20. Jahrhundert hatte Deutschland großen kulturellen Einfluss auf Russland. Und im 20. Jahrhundert hat der Vertrag von Rapallo zwischen der Weimarer Republik und der jungen Sowjetunion ein versöhnliches Zeichen gesetzt und zugleich den arroganten Westmächten Paroli geboten. Und wie sieht es heute aus? Die Russen haben zwar entsetzlich im „Großen Vaterländischen Krieg“ gelitten, wir Deutsche sind ihnen dennoch näher als viele andere europäische Völker. Ich kann den Deutschen nur raten, auch einmal einen Blick in Putins Reden an die Deutschen, veröffentlicht vom Compact-Magazin, zu werfen. Natürlich kann man auch hier nicht jedes Wort für bare Münze nehmen, aber die Tendenz ist klar. Wir schaden uns nur selbst, wenn wir unsere seit dem Zweiten Weltkrieg leider weitgehend verschütteten Gemeinsamkeiten mit dem Osten in vorauseilendem Gehorsam vor den „NATO-Partnern“ ausblenden.
Um den Weg zu einem Gleichgewicht zurückzufinden, setze ich dieser Westpropaganda nun ein nettes Liedchen von Ernst Busch aus der frühen DDR entgegen:
http://www.youtube.com/watch?v=2flpdqGfAsw